NF-Rezension Rezension: Julia Bulk (Hrsg.): Die Entdeckung der Dinge - Fotografie und Design

Thread Status
Hello, There was no answer in this thread for more than 30 days.
It can take a long time to get an up-to-date response or contact with relevant users.

Virgil Kane

Sehr aktives NF Mitglied
Registriert
Das vorliegende Werk entstand anlässlich der Ausstellung „Die Entdeckung der Dinge“ im Wilhelm Wagenfeld Haus in Bremen. Die Ausstellung war dort von November 2015 bis April 2016 zu sehen.

Von der Website der Wilhelm Wagenfeld-Stiftung über den Hintergrund der Stiftungsarbeit ist als Basisinformation zu erfahren (Zitat www.wilhelm-wagenfeld-stiftung.de):

„Wilhelm Wagenfeld zählt zu den einflussreichsten Pionieren der modernen Produktgestaltung in Deutschland. Als einziger Schüler des Bauhauses in Weimar hat er den Weg in Unternehmen der Großindustrie erfolgreich beschritten. So konnte er das Ziel, allen Bürgern den Zugang zu einer anspruchsvollen, zeitgemäßen, bezahlbaren Industrieproduktion zu ermöglichen erfolgreich verwirklichen.
Die Wilhelm Wagenfeld Stiftung, die ihre Tätigkeit am 17.12.1993 aufgenommen hat, hat den Zweck, das Werk von Wilhelm Wagenfeld zu pflegen und zu bewahren, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und im kunst- und kulturhistorischen Umfeld sowie im Rahmen der aktuellen Diskussion über Produktgestaltung darzustellen.“


„Die Entdeckung der Dinge - Fotografie und Design“ liegt angenehm in der Hand. Der Soft-Cover Umschlag besitzt doppelte Klappendeckel, was dazu beiträgt, die Ecken vor dem Umknicken zu schonen und dem ganzen Buch mehr Festigkeit bei gleichzeitiger Flexibilität zu geben. Schon das Design des Umschlags, in mattem Weiß gehalten mit der Fotografie einer Kaffeekanne und -tasse und einer Typographie, die sich diesem Bild angleicht und unterordnet, zeugt von der Sorgfalt, mit der das Buch erstellt und gestaltet wurde. Sie findet ihre Fortsetzung auf jeder einzelnen Seite. Das Grußwort zu Beginn, vom Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Klaus Ziegler verfasst, ist so gestaltet, dass der Text leicht lesbar auf der Seite zu schweben scheint. Jedem Inhaltselement im Buch, ob Wort oder Bild, wird Raum gewährt. Alles hat seine Wichtigkeit.


Zwei umfangreiche Textkapitel stehen dem Bilderkatalog voran. Zunächst schreibt Dr. Julia Bulk, Geschäftsführerin und wissenschaftliche Leiterin der Wagenfeld Stiftung, über die Entdeckung der Fotografie als Medium zur Darstellung von Produkten und zwar sowohl zum Zweck der Archivierung als auch später dann in der Produktwerbung. Sie spannt den Bogen von scheinbar begrifflichen Spitzfindigkeiten über Produkt und Abbild zu den umfangreichen Bemühungen zur Archivierung und Katalogisierung durch Wilhelm Wagenfeld bis hin zu den Zusammenhängen von Sehen und Tasten und einer Dokumentation von Kitsch/Trash als Zeichen einer abnehmenden Qualität in den Dingen, mit denen wir uns umgeben. Das Ganze nimmt zwölf Seiten engen Textes in Anspruch und fesselt von Anfang bis Ende. Großartig!

Der zweite Textteil ist acht Seiten lang und der Abdruck eines Gesprächs zwischen Frau Dr. Bulk und den beiden Kunstschaffenden Fritz Haase (Professor für Grafik-Design und Inhaber einer Agentur für Gestaltung) und Hans Hansen (selbständiger Fotograf). Das Gespräch dreht sich um Kernfragen der Abbildung von Produkten, wie beispielsweise um den Wandel der Art der Aufnahmen im historischen Kontext oder um die Macht der Bilder. Beispiele hierfür sind Äpfel in einer Glasschale, die früher durchaus klein und fleckig sein durften, heute jedoch nur noch rotbackig und fehlerlos akzeptiert werden. Die Einführung der Apple-Watch gilt als Beispiel für die Macht der Bilder und eine mögliche Zukunft der Produktdarstellung. Die ersten Abbildungen der Applezwiebel waren keine realen Fotos sondern laut Fritz Haase „nur die Illusion von Fotos“ und „eine Anhäufung von Daten“. Hier schweift das Gespräch kurz in die nostalgische Überhöhung analoger Techniken ab, findet dann aber schnell wieder zurück zum Thema. Auch dieser Textblock, von Julia Bulk behutsam moderiert, ist ein Lesegenuss.

Der Katalogteil mit zahlreichen Abbildungen knüpft an die Texte an. Hier sehen wir die große Kunst der Produktfotografie. Viele Glasobjekte, Porzellan, die berühmte Bauhaus-Leuchte, Gläser, Schalen und Vasen. Im Anschluss daran unter dem Titel „Die Entdeckung der Dinge“ Objekte in ihrer natürlichen Umgebung. Den Abschluss machen fünf Seiten bunter Bildchen um Format von Kontaktabzügen des englischen Fotografen Martin Parr, auf denen in zum Teil extremen und verstörenden Ausschnitten unsere aktuelle Welt dokumentiert ist. Sowohl durch die grellen Farben als auch durch das, was auf den Fotos zu sehen ist, stehen sie in Kontrast zu den sorgfältig inszenierten und mit Liebe zum Objekt abgelichteten Bilderreihe des Hauptteils. Wären dies zwei Welten und man hätte die Wahl, in welcher davon man leben möchte, würde kaum jemand die des Martin Parr vorziehen.

Ein Zitat von Wilhelm Wagenfeld zum Design einer Teekanne, die nicht nur praktisch sein soll, sagt viel über sein Verständnis von guter Gestaltung:

„Hierüber hinaus müssen diese (praktischen) Vorzüge einen schönen Gebrauch hervorrufen,
damit wir den Händen, welche uns den Tee einschenken, gern zusehen,
sie nicht angestrengt das Gefäß halten, und das Hantieren deshalb
selbstverständlich und leicht sein kann“



Für wen ist dieses Buch geeignet?

Für Freunde des Bauhauses und seiner Protagonisten, für Liebhaber schöner Alltagsgegenstände, für Interessierte an der Entwicklung von Form und Design im Laufe des letzten Jahrhunderts und nicht zuletzt für alle Table-Top-Fotografen, die sich mit Form und Licht und Schatten abmühen und Anregungen für ihre eigene Arbeit suchen. Bei Wilhelm Wagenfeld und seinesgleichen kann sich jeder einige Scheiben dazu abschneiden.

Fazit:

Ein wunderschönes Buch, eine Zeitreise, ein Spiegel, in dem wir Dinge sehen, die verloren scheinen, ein Besinnungsbuch, eines, dass den Blick auf die Welt nachhaltig verändern kann.

Wertung: alle 6 von 5 Punkten :)

Die Daten

Die Entdeckung der Dinge – Fotografie und Design erschien am 1. November 2015 im Wienand Verlag. Julia Bulk (Hg.) im Auftrag der Wilhelm Wagenfeld Stiftung, Bremen. Mit Beiträgen von Julia Bulk, Fritz Haase, Hans Hansen, 144 Seiten, 260 farbige Abb., 58 s/w Abb., Hochformat 28 x 21 cm, Klappenbroschur.
ISBN 978-3-86832-298-9
Preis: 29,80 EUR (D) | 36,70 SFR (CH)
Hier geht es zur Leseprobe

Bewertung:
picture.php



ISBN: 3868322981

 
Anzeigen
-Anzeige-
Zurück
Oben Unten